Synodalität³
oder die eigentliche Herausforderung synodaler Aufmerksamkeit
Festvortrag
anlässlich des Tages der Theologie der Fachakademie für Gemeindepastoral im Bistum Magdeburg am 30. November 2019 in Zwochau
von Thomas Pogoda
Morgen am 1. Advent, dem 1. Dezember 2019, ist der Beginn des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland terminiert. Ich möchte diese Zeitmarke zum Anlass nehmen, ein wenig über diesen Synodalen Weg zu reflektieren. Genauer geht es mir heute weniger um den Anlass – so wichtig das wäre – und die Ordnung dieses Weges als um die Grundanlage dessen, was Synodalität meint. Wird doch dieser Begriff seit einigen Jahren häufig durch Papst Franziskus verwendet. Seit der groß angelegten Synode zu Fragen der Familie – mit der umfänglichen, weltweiten Befragung – erleben wir auf weltkirchlicher Ebene faktisch im Jahresabstand Synoden. Das jüngste Beispiel war die Amazonassynode im vergangenen Oktober. Aber was verbirgt sich hinter diesem – für die katholische Kirche noch ungewohnten, vermutlich wenig eingeübten und manchmal auch schillernden – Begriff? Auf welcher Ebene sollte sich Synodalität wiederfinden?
1. Ekklesiologische Koordinaten im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils
Was meint der Begriff Synodalität?
In der Ansprache, die Papst Franziskus am 17. Oktober 2015 anlässlich der 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode gehaltenhalten hat, macht der Bischof von Rom deutlich, welches zentrale Anliegen er mit der Synode – die damals gerade in Rom zusammenkam – verband: „Was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon im Wort ,Synode‘ enthalten. Gemeinsam voranzugehen – Laien, Hirten und der Bischof von Rom –, […]“ (Franziskus, Ansprache). Das, so Franziskus sehr realistisch, sei „ein Konzept, das sich leicht in Worte fassen lässt, aber nicht so leicht umzusetzen ist“ (ebd.)
Mit gemeinsam vorangehen klingt ein Grundbild des Zweiten Vatikanischen Konzils an: die Kirche als (pilgerndes) Volk Gottes – als Volk Gottes auf dem Weg (LG 9.3). Besonders in ihrem zweiten Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium umriss die Konzilsversammlung die Koordinaten, in dem sie das Volk Gottes sieht. Was ist hier zu nennen?
(1) Das ist zum einen die Grundierung, die die Kirche als Volk Gottes in der Taufe und damit in der Berufung der Einzelnen durch Christus verortet (LG 10). Die Konzilsväter sprechen hier davon, dass die Getauften zu einem Priestertum geweiht sind – consecrantur. Und in diesem Priestertum leben Frauen und Männer ihre christliche Berufung in Hingabe. Das Konzilsdokument gebraucht an dieser Stelle starken Worte aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom: „Die Getauften [mögen …] sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen.“ (So LG 10.1 in Anschluss an Röm 12,1.) Zur Realisierung und Ermöglichung, zur Unterstützung und Orientierung sind auf diese Taufgeweihten die sakramental Ordinierten hingeordnet. Das Priestertum des Ordinierten – in den Ämtern der Diakone, Priester und Bischöfe – ist ein Priestertum des Dienstes – ein sacerdotium ministeriale (Vgl. LG 10.2). Um es anders zu sagen: Der Kirche ist eigen, dass das Gemeinsame Priestertum aller der tiefste Ausdruck der Jüngerschaft von Frauen und Männern in ihrer Nachfolge Christi ist. Diese Nachfolge beginnt nicht erst mit einer Weihe. Sie liegt dieser bevor. Dies ist eine erste Koordinate des Volkes Gottes: In der Taufweihe ist eine gleiche Würde aller grundgelegt, auf diese ist der Dienst der sakramental Ordinierten hingeordnet.
(2) Eine zweite Koordinate rechnet in diesem Volk Gottes mit der Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Und diese Wirksamkeit gilt dem ganzen Volk Gottes: „Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern ,teilt den Einzelnen, wie er will‘ (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gaben“ (LG 12.2). Damit setzt sich hier in einer Perspektive des Heiligen Geistes die gleiche Würde aller fort, die mit der Taufweihe grundgelegt ist. Gleichwohl meint dies nicht eine Gleichartigkeit aller– also als ob es nur eine genau gleiche Art der Nachfolge im gläubigen, christlichen Leben gibt. Volk Gottes ist in der Vision des Konzils von Unterschiedlichkeit und Vielgestaltigkeit geprägt. Damit wird auch deutlich, dass Kirche nicht überall gleich ist, aber ihre Unterschiedlichkeit durchaus geistgetrieben oder geistgewirkt ist. Der Heilige Geist ist die Quelle der Vielfalt und Kreativität – der Geist führt durch die unterschiedlichen Gaben. Zugleich stellt er das verbindende Element dar – der Heilige Geist verbürgt die Einheit. Eine zweite Koordinate erinnert daran, dass der Heilige Geist die Kirche als Volk Gottes durch seine Gaben führt und formt.
(3) Eine dritte Koordinate liegt darin begründet, dass alle Menschen zu diesem neuen Volk Gottes berufen sind (vgl. LG 13). Darin liegt eine Zielperspektive Grund, demnach ist es „das Ziel des Willens Gottes … das Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet … wieder zur Einheit zu versammeln.“ Die Konzilsväter verstanden dabei die Kirche als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie die Einheit der ganzen Menschheit“, wie sie es gleich am Beginn ihres Textes ausdrücken (LG 1). Die Konzilsväter sahen für das Volk Gottes eine „Eigenschaft der Weltweite“ (LG 13.2) – die also alle Menschen, in ihren unterschiedlichen Eigenarten, in ihren unterschiedlichen kulturellen Bedingungen vor Augen hat.
Damit entsteht ein Bild vom Volk Gottes, das grundsätzlich alle Menschen im Blick behält und mit einer Berufung aller Menschen rechnet. Kirche – also die fassbare und erlebbare Institution, zu der wir gehören – wird in eine Relation gesetzt. Wir können auch sagen: Sie wird in einer angemessenen Weise relativiert. Diese Relationen hinsichtlich aller Menschen nimmt das zweite Kapitel von Lumen gentium sehr detailliert in den Blick. Natürlich dachten die Konzilsväter an die katholischen Glaubenden, denn diese Zugehörigkeit zum Volk Gottes ist naheliegend (LG 14). Dann aber sahen sie auch – und das war für die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils eine noch ungeübte Erneuerung – eine Verbundenheit mit den anderen Christinnen und Christen (LG 15). In der Begegnung mit anderen Formen und Traditionen christlichen Lebens wird – so die Vision dieses heute 55 Jahre alten Textes – die christliche Berufung anderer Art als die in gewohnter römisch-katholischer Weise erfahrbar und wertvoll. Eine weitere Relativierung – und deren Tragweite wird vor dem Hintergrund eines engen Verständnis‘ eines außerhalb-der-Kirche-kein-Heil sehr greifbar – geht noch weiter: Auch die Nichtchristen – also die das Evangelium nicht angenommen haben oder gar nicht kennen – sind auf das Volk Gottes hingeordnet (LG 16). Hier findet sich ein bemerkenswerter Satz: „Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinem im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen“ (LG 16). Anders gesagt: Der Mensch, der das Gute sucht und dem Gewissen folgen will, kann das Heil erlangen. Und diese Grundeinstellung – das Gute suchen und dem Gewissen folgen – können wir den Zeitgenossen in unserem Land unterstellen. Dieses positive Vorurteil unseren Mitmenschen gegenüber ist vielleicht eine dritte Koordinate.
(4) Eine vierte Koordinate macht deutlich, dass das Grundwesen des Volkes Gottes Sendung ist (vgl. LG 17). Weil sich eben – so die Vision des Konzils – das Volk Gottes in Relation zu allen Menschen weiß: nicht nur den klar einer Gemeinde zugehörigen, sondern auch denen, die das Gute suchen und dem Gewissen folgen. Ich möchte diese Orientierung so verstehen, dass die Menschen auf ihrem Weg zu Zeuginnen und Zeugen für das werden, was – so Lumen gentium – „Samen des Guten [ist], sich in den Herz und Geist der Menschen oder in den eigenen Riten und Kulturen der Völker findet“. Damit dieser Samen des Guten „nicht untergehe, sondern geheilt, erhoben und vollendet werde“ (LG 17).
Das Volk Gottes in seiner Sendung wird also in der Beziehung zu allen Menschen gesehen und will das Gute und Werte im Leben der Menschen achten. Dabei geht es nicht darum, die eigene Basis und Grundlage – das Evangelium von Jesus Christus – zu verschweigen oder klein zu reden. Aber es geht hier um eine Achtung der Werte und Güter, der Sehnsüchte und Hoffnungen – oder wie es das selbe Konzil in seiner pastoralen Konstitution über die Kirche in der heutigen Welt Gaudium et Spes ausdrückt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände“ (GS 1). Die vierte Koordinate macht deutlich: Die Kirche als Volk Gottes ist Sendung, die um ihren Ausgang bei allen Menschen weiß.
(5) Kirche ist – so spricht es der andere Kirchentext des Konzils Lumen Gentium ganz am Anfang aus (LG 1) – Zeichen und Werkzeug für etwas tiefergehendes, universaleres – universalitas ist der lateinische Begriff für Weltweite. Kirche weist auf diese tiefgehendere, universalere Dimension hin und sie ist – und das ist eine wichtige Einsicht – nur ein Mittel, sich daraufhin zu bewegen. Damit wird deutlich, dass sich Kirche als Volk Gottes in einem Prozess, auf einem Weg befindet: als pilgerndes Volk Gottes.
Damit kommt eine letzte, fünfte Koordinate zum Tragen. Dieses pilgernde Volk Gottes ist unterwegs hin auf eine eschatologische, eine endzeitliche Vollendung (vgl. LG 48-51). Kirche weist also auf etwas hin, wohin sie noch unterwegs ist. In der Sprache der Verkündigung Jesu ist es das Reich Gottes, das bereits angebrochen aber noch nicht vollendet ist. Es gilt immer wieder darum, Zeichen des Reichs Gottes im Leben der Menschen zu erkennen und auszudeuten. Es gilt – so das Konzil in Gaudium et Spes – darum die Zeichen der Zeit zu lesen und im Licht des Evangeliums auszulegen (vgl.: GS 4; 12). Die uns vorgehenden Koordinaten erinnern sehr deutlich daran, dass dieser Lese- und Deutungsprozess etwas ist, was durch alle Taufgeweihten in der Kirche – nach ihren Begabungen (und ich sage bewusst nicht nach Funktion, nach Stand, nach Vollmacht sondern nach Begabungen) getragen und vollzogen werden muss. Und dieser Lese- und Deutungsprozess möge sich, daran erinnern die Koordinaten auch, immer in der Relation, in der Beziehung zu allen Menschen vollziehen. Aber bei aller Weltweite bleibt es immer ein Prozess – in der Sprache des Konzils als Volk Gottes auf dem Weg. Ein Prozess, in die Menschen immer mehr lernen (können), wie sich das Reich Gottes – das bereits da ist – in seiner ganzen Weltweite verwirklichen kann.
Diese fünf Koordinaten verdeutlichen einen wesentlichen Teil der ekklesiologischen Grundlage, auf der wir das verstehen können, was Synodalität meint:
(1) In der Taufweihe ist eine gleiche Würde aller grundgelegt, auf diese ist der Dienst der sakramental Ordinierten hingeordnet.
(2) Der Heilige Geist führt und formt durch seine Gaben.
(3) Die Berufung gilt allen Menschen in einem positiven Vorurteil.
(4) Kirche als Volk Gottes bedeutet Sendung.
(5) Das Volk Gottes steht in einem Lehrprozess von der Verwirklichung des Reiches Gottes.
2. Ein Grundverständnis von Synodalität: Gemeinsame Aufmerksamkeit
Diese Koordinaten umreißen also eine Grundlage, auf der wir verstehen können, was Synodalität bedeutet. Der Bischof von Rom sieht auch – so Papst Franziskus in seiner oben bereits angesprochenen Rede zum 50. Jahr der Einrichtung der Bischofssynode – in der Synode, also in einem Vollzug der Synodalität, ein „Aufgreifen“ und „Widerspiegeln“ dessen, was fünfzig Jahre zuvor das Zweite Vatikanische Konzil ausgemacht hat (Franziskus, Ansprache).
Wir dürfen nicht unterschätzen, welch epochaler Paradigmenwechsel sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen hat. In dieser Versammlung trafen sich erstmals in der Geschichte der Kirche Vertreter – leider noch keine Vertreterinnen – aus den unterschiedlichen Regionen, Kulturen und Traditionen einer sich immer mehr als global erfahrenden Kirche. Anwesend waren auch Beobachter aus anderen christlichen Konfessionen – die durchaus Einfluss auf die Beratungen des Konzils nahmen und so nicht nur aus Höflichkeit, sondern in der Tat mit am Tisch saßen (dies ist detailliert untersucht in: Velati, Separati). Es entstand ein wertschätzender Blick auf die Anderen: die anderen Christen, die anderen Glaubenden in den nichtchristlichen Religionen, die anderen Menschen – erinnern Sie sich daran: Das Gewissen ist entscheidend. Und letztlich stellte auch der Blick auf das innere Wesen der Kirche und ihrer Struktur ein Paradigmenwechsel des Zweiten Vatikanischen Konzils dar: das Gemeinsame Priestertum aller Getauften wurde zu einem wesentlichen Konstruktionspunkt, Christsein zu verstehen.
Gleichwohl steht dieser eben ganz kurz skizzierte Paradigmenwechsel vor einer großen Herausforderung. Die Herausforderung, sich mit den Erfahrungen und über lange Zeit eingebübten Wahrnehmungen von Glaube und kirchlichen Leben zu arrangieren und diese in eine Perspektive der Gegenwart abzugleichen und anzupassen. Eben dieses Aggiornamento nachzuvollziehen, dass die Aufgabe einer jeden Generation ist. Wir stehen hier, so meine Einschätzung, noch mittendrin. Manchem mag dies zu langsam und zu halbherzig erscheinen, mancher wird als der große Zusammenbruch charakterisieren. Aber wir lernen immer noch, wie eine Kirche ist, in der alle mit der gleichen Würde ausgestattet sind. Wir lernen einmal mehr, wie Verantwortung in der Kirche ausgeübt wird. Und – vermutlich ist dies auch das schwierigste – wie lernen immer noch, wie wir uns als Christinnen und Christen mit unserer Sendung an den anderen – dem Nächsten, dem noch Fremden – orientieren.
Mitten in diese Aneignung hinein stellt sich der Anstoß der Synodalität. Eine synodale Kirche ist dabei zugleich eine Richtung, in die sich dieses Lernen orientiert und der Pfad, der dorthin führt. Anders gesagt: Solch ein Weg ist nur gemeinsam, synodal zu erreichen. In der vorhin benannten Ansprache von Franziskus taucht eine Bestimmung auf: „Eine synodale Kirche ist eine Kirche des Zuhörens, in dem Bewusstsein, dass das Zuhören »mehr ist als Hören«. Es ist ein wechselseitiges Anhören, bei dem jeder etwas zu lernen hat: das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom – jeder im Hinhören auf die anderen und alle im Hinhören auf den Heiligen Geist, den »Geist der Wahrheit« (Joh 14,17), um zu erkennen, was er ,den Kirchen sagt‘ (vgl. Offb 2,7)“ (Franziskus, Ansprache). Es geht also um eine gegenseitige Offenheit und Aufmerksamkeit für die einzelnen Teile der Kirche und vor allem für den „Heiligen Geist“. Und Franziskus dann auch: „Der sensus fidei (der Glaubenssinn] verbietet, starr zwischen Ecclesia docens [der lehrenden Kirche] und Ecclesia discens [der lernenden Kirche] zu unterscheiden, weil auch die Herde einen eigenen ,Spürsinn‘ besitzt, um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschließt“ (ebd.). Den Getauften kommt also eine wesentliche Rolle zu, ohne die es auf der Pilgerschaft des Volkes Gottes nicht geht (Internationale Theologische Kommission, Synodalität), Nr. 61).
Synodalität stellt dabei eine „konstitutive Dimension“ dar, die Kirche ausmacht, eine ihr „eigentümliche Form, in der die Kirche lebt und handelt“ (Internationale Theologische Kommission, Synodalität), Nr. 40). Der Bezug auf die vorhin benannten Koordinaten, die wir aus dem Blick in die Konstitution Lumen gentium gewonnen haben, geben dabei auf der Roadmap eines synodalen Weges Orientierung.
Wenn nun von einer „konstitutiven Dimension“ – also einer „verfassungsmäßigen Dimension“ – die Rede ist, dann wird deutlich, dass hier eine Veränderung der Zuordnung der Menschen in der Kirche – Getaufte und Ordinierte – sowie der Verfahren ihres Umgangs miteinander eine wichtige Konsequenz ist. Und vermutlich ist genau hier ein Punkt, an dem sich das Erscheinungsbild und die „Geschäftsgrundlage“ der real existierenden Kirche kritisch anfragen lassen müssen. Wie weit ist die gemeinsame Würde aller aufgrund der „Taufweihe“ tatsächlich der Grundton, sich als Kirche selbst zu verstehen? Welchem Leitbegriff folgt man – Klerus wie Laien – im Blick auf das sakramentale Weiheamt? Geht es hier um Vollmacht – um das was-wer-darf-und-was-wer-nicht – oder geht es um den Dienst – die Dienstleistung – den das ordinierte Amt den Menschen zu tun hat? Wer ist bereit die Konsequenzen der Taufweihe zu tragen – und wie gestalten wir diese Konsequenzen? Sprechen wir von einem Weg der Laien und dem Weg der „Amtskirche“ oder von einem synodos – einem gemeinsamen Weg? Und: Wer darf mitbestimmen und entscheiden, wie man gemeinsam unterwegs ist? Vermutlich wird sich am Synodalen Weg in Deutschland hier so manches entscheiden.
3. Synodalität einüben
Soweit die Theorie von Synodalität. Die letzten, schlagwortartigen Fragen dürften deutlich machen, wie sehr das Konzept einer Synodalen Kirche diese Kirche eigentlich herausfordert. Die Herausforderung liegt nun darin, dies mit dem Leben zu erfüllen; synodale Aufmerksamkeit einzuüben, damit sie nicht nur Anspruch bleibt, sondern zu einer Handlungsorientierung, zu einem christlichen Habitus wird.
Um eine vertiefende Reflexion von Synodalität zu ermöglichten, verfolgte die Internationale Theologische Kommission – gewissermaßen ein wissenschaftlicher Beirat im Vatikan – eine breit angelegte Untersuchung zur Synodalität. Dazu legten die Theologen im vergangenen Jahr eine Studie vor „Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche“ (Internationale Theologische Kommission, Synodalität). Sehr gründlich wird dabei herausgearbeitet, das Synodalität nicht nur einfache Verfahrensweise darstellt, sondern den „ureigenen Stil“ im Leben und Sendung der Kirche ausmache: Ein modus vivivendi et operandi der sich ausdrückt in gemeinschaftlichen Hören auf das Wort und die Feier der Eucharistie, Geschwisterlichkeit der Gemeinschaft, Mitverantwortung und Teilhabe am Leben und Sendung (Internationale Theologische Kommission, Synodalität), Nr. 58-59). Diesen modus vivvendi et operandi sieht die Internationale Theologenkommission auf allen Ebenen und in verschiedenen Aufgaben und sie greifen dabei die in Lumen gentium grundgelegten Koordinaten auf.
Damit diese Form von Kirche-sein sich zunehmend verwirklichen möge, empfehlen die Theologen der Kommission auch einige Elemente synodaler Erneuerung:
(1) „die Ausbildung zur Spiritualität der Gemeinschaft und zur Praxis des Zuhörens, des Dialogs und der gemeinschaftlichen Unterscheidung;
(2) die Bedeutung für den ökumenischen Weg und
(3) für eine prophetische diakonia in der Erbauung eines brüderlichen, solidarischen und inklusiven sozialen Ethos“ (Internationale Theologische Kommission, Synodalität), Nr. 81).
Deutlich ist dabei, dass dieser Lernprozess hin zu einer synodalen Kirche natürlich ein Weg ist, der im Einüben bestimmter – ich möchte sie einmal so nennen – Grundkompetenzen beginnt: Spiritualität der Gemeinschaft und Praxis des Zuhörens, des Dialogs und der gemeinschaftlichen Unterscheidung. Aber zugleich ist es eine Einübung, die sehr deutlich den Weg hin zu den anderen wendet – den anderen Christen als Weggefährten und hin zu einem diakonischen Handeln.
Damit markiert sich vielleicht auch eine große Versuchung von Synodalität: Bei allem Lernen, miteinander zu sprechen, inhaltlich doch so sehr bei sich zu bleiben, um sich zu kreisen. Dies kann auch eine große Versuchung für den synodalen Weg darstellen, der morgen in der deutschen Kirche beginnt. Dazu zu neigen, sich mit „Kircheninterna“ und mit all den Schwierigkeiten, die wir als Katholiken durchaus innerhalb der Kirche haben – die Themen der Foren des synodalen Weges markieren diese ja – zu verfangen und bei sich stehen zu bleiben. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir müssen als Christinnen und Christen durchaus lernen, miteinander geschwisterlich über diese Themen zu sprechen: „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilhabe und Teilhabe am Sendungsauftrag“, „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“, „Priesterliche Existenz heute“ und „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“. Aber die Perspektive der Sendung zu den Menschen darf nicht aus dem Blick geraten!
Manchmal wird uns Dialog und Zuhören ohne Zweifel gelingen – dafür wir dürfen dankbar sein. Zugleich sind wir es viel zu oft noch sehr ungewohnt – gerade, wenn es darum geht, gemeinsam zu unterscheiden. Vermutlich kennen Sie da die eine oder andere Erfahrung aus Ihren Gemeindeleben, in der nur wenige unterscheiden und dann auch entscheiden. Daher wünsche ich mir für Christinnen und Christen in unserer Kirche die so wichtigen Erfahrungen, in denen sich die grundlegende, gleiche Würde der Taufgeweihten auch in gemeinsamen Leben und Handeln in unseren Gemeinschaften wiederfindet.
Synodales Leben in der Kirche braucht Formen und Gestalten, in den sie sich ausdrücken können. Ja es braucht die Ebenen, dass wir in unseren Gemeinschaften, Gremien, Teams miteinander mit großer Aufmerksamkeit füreinander wie auf den Heiligen Geist darüber sprechen, wie wir als Christinnen und Christen leben und Zeugnis geben wollen.
Vielleicht ist genau die Gestaltung und Förderung von Synodalität der Platz, der den Dienst des ordinierten Amtes und wohl auch eine „Hauptamtlichkeit“, wie wir sie aus unserer Kirche kennen, charakterisiert. Wenn Synodalität – wie wir sie bisher beschrieben haben – zur Perspektive des gemeinsamen, kirchlichen Lebens wird, dann geht es im Dienst nicht mehr um die Vollmacht, sondern um die Moderation. Die Moderation, die dem Volk Gottes ermöglicht, im Gespräch untereinander und mit Gott zu bleiben. Moderation meint dann das tatsächlich herausfordernde Geschäft, Menschen Kommunikationsräume zu erschließen: also die richtigen Impulse zu setzen, gegebenenfalls Schmieröl in schwergängige Getriebe zu geben und sich immer für den kommunikativen Austausch unterschiedlicher Positionen einzusetzen. Moderation bedeutet auch, einander zu helfen, Dinge einzuordnen und zu verstehen – darum ist theologische, spirituelle und menschliche Kompetenz gefragt. Das bedeutet aber auch, dass nicht der Moderator derjenige ist, der alle Antworten gibt und den Plan hat.
Ich muss eingestehen, dass unser in vielem von Über- und Unterordnung, geprägtes, manchmal sehr statisch anmutendes Verständnis sehr schwertut, sich dem dynamischen Prozess des Heiligen Geistes zu öffnen. Der Geist hat es manchmal schwer sich Bahn zu brechen – aber es ist eine Gabe an Christenmenschen, diesem Geist Raum zu geben. Es ist eine Gabe, andere Christenmenschen dazu hinzuführen, dass sie zur Unterscheidung darin kommen, was Heiliger Geist ist und was eher ein Ungeist, der durcheinanderbringt. Wenn Sie bei Ihren Mitmenschen, ihren Mitchristen diese Gaben wahrnehmen und sehen, dann sind dies vermutlich Kriterien, die dafür sprechen diesem Menschen – Frau oder Mann – einen leitenden oder führenden Dienst anzutragen.
4. Auf eine weitere Ebene –Synodalität³
Bei all dem, was jetzt gesagt wurde, ist nur die Synodalität unter uns die Rede. Synodalität wurde beschrieben in der Perspektive der eigenen Konfession, der eigenen Kirche, der eigenen Gemeinde, der eigenen Gruppe. Aber – das ist ja eine Koordinate der Synodalität, die wir aus Lumen gentium gewonnen haben – Volk Gottes hat die Eigenschaft der Weltweite. Darum kann die Synodalität nicht bei den Katholiken stehen bleiben: Ja es braucht auch die geschwisterliche Begegnung und den Austausch mit den Christinnen und Christen der anderen Konfessionen; Ja es braucht auch die Begegnung und Austausch mit den anderen Glaubenden.
Denn bei aller Achtsamkeit auf unser geschwisterliches Miteinander auf unserem gemeinsamen synodalen Weg sind wir dennoch noch immer wieder einer Versuchung ausgesetzt – ich sagte es bereits: der Versuchung, um uns zu kreisen. Darum ist für eine synodale Kirche – für ein Leben der Synodalität – so wichtig, dass weitere Elemente hinzutreten. Einsichtig ist der ökumenische Weg – das ist uns hier im Osten Deutschlands vielleicht noch einmal mehr verständlich, da wir ja gemeinsam als Christen hier eine Minderheit darstellen. Aber wichtiger noch ist die diakonia – denn sie weist darauf hin, dass es ja Sendung der Kirche ist, dieser Welt zu Diensten zu sein. In einem Dienst, dass die Menschen mit Gott und untereinander in Einheit leben können. In einem Dienst, dass Menschen zu einem guten Leben gemäß ihrem Gewissen finden. In einem Dienst, dass die Menschen etwas von der Zuwendung Gottes, die er ganz frei jedem Menschen entgegenbringt, erfahren können. Es ist nicht ohne Grund so, dass diese Hinwendung zur diakonia – zu einem geschwisterlichen, solidarischen und inklusiven sozialen Ethos, wie es die Theologenkommission ausdrückt – ein Element der Erneuerung im Leben der Kirche darstellt. Sie können dies ganz einfach selbst überprüfen, wie stark Sie den Bedarf in ihrer ganz konkreten Erfahrungswelt kirchlichen Lebens sehen: Welche Bedeutung hat hier im Dienst ihrer Gemeinschaft, ihrer Gemeinde, vielleicht auch für Sie als Person das diakonische Handeln für andere? Das scheint mir die eigentliche Herausforderung synodaler Aufmerksamkeit zu sein: Wie kann ich, wie können wir den Menschen zu Diensten sein? Wie können wir uns in unserem Christsein und in unserer Ausrichtung und Entscheidung zum Dienst für die Anderen – nicht nur die Eigenen – ausrichten?
Inspiriert von Eberhard Tiefensees Gedanken von der Ökumene der dritten Art (Tiefensee, Umänderung), möchte ich daher noch eine weitere Ebene der Synodalität markieren – eine Synodalität³.
Wie wäre es, wenn als Ausdruck unseres synodalen Handelns die Begegnung mit den konfessionslosen Mitmenschen selbstverständlich dazu gehören würde? Das der konfessionslose Mitmensch ein Mitspracherecht bekäme dafür, wie in unseren konkreten Zusammenhängen der Weg des Volkes Gottes synodal – meint gemeinsam mit ihnen – aussehen sollte. Vielleicht sieht dies Mitspracherecht erst einmal nur so aus, dass es gar nichts zu sagen gibt. Vielleicht zeigt sich aber dieses Mitspracherecht auch darin, dass mir, uns das Gegenüber einfach von seinem, von ihrem Leben berichtet. Vielleicht kommt im Leben des Anderen, Gott selbst um die Ecke und formuliert einen recht simplen Auftrag für mich? Haben wir dann die eigene Offenheit und Freiheit im Licht des Evangeliums unsere Schlüsse zu ziehen? Und dann gemeinsam mit unserem nächsten Mitmenschen als Weggefährten weiterzugehen?
Ich glaube, dass diese Perspektive einer Synodalität³ keine ungewohnte Perspektive ist, denn jeder von uns wohnt, lebt und arbeitet in Zusammenhängen, in der sich diese Form von Synodalität vollzieht. Jedem und jeder von Ihnen werden Beispiele einfallen, in den ihr Leben mit dem Leben unserer Mitmenschen in Berührung kommt. Sie werden Begegnungen vor Augen haben, in denen diese Berührung auch eine Form von Weggemeinschaft wird. Wir sind als Christinnen und Christen auf einem gemeinsamen Weg mit unseren Nachbarn, Mitmenschen – konfessionell oder konfessionslos. Wir sind synodal mit in ihnen auf dem Weg, wenn sie das Gute suchen und ihrem Gewissen folgen wollen – mag es im Verborgenden stattfinden, mag es ausgesprochen werden. Wenn jemand damit ringt, wie er sich um seine pflegebedürftigen Eltern kümmern kann, dann ist das eine Frage, die sich ganz unabhängig vom Konfessionsstatus stellt und eben die Suche nach dem guten und richtigen Leben markiert.
Eine Synodalität³ steht für die Verbindung unseres Weges der Jüngerschaft und Nachfolge mit dem Leben der konfessionslosen Geschwister in unserem Land. Die eigentliche Herausforderung für die Taufgeweihten ist vielleicht, in dem konfessionslosen Suchen nach dem Guten und dem Weg des Gewissens eine Bedeutung und Relevanz für den eigenen Weg zu sehen. Letztlich geht so ein Weg nur gemeinsam – im Austausch, in Dialog, in Kooperation. Die Synodalität³ darf Einfluss auf meinen Weg der Nachfolge haben. Denn hier spricht sich auch der Heilige Geist aus und gibt uns eine neue Richtung.
Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte sind gute Lehrbücher dafür, wie eine Synodalität³ aussehen kann. An eine Passage möchte ich jetzt am Ende erinnern:
Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe! (Lk 10, 3-9)
Synodalit³ bedeutet sich auf den Weg zu machen: „Geht!“
Sie bedeutet, sich von dem Ballast des eigenen, konfessionellen Vorstellungen frei zu machen: „kein Geldbeutel, keine Vorratstasche, keine Schuhe.“
Synodalität³ bedeutet eine Freiheit von Vorurteilen dem Anderen gegenüber: „Sagt als Erstes: Friede diesem Haus!“
Sie bedeutet zu Gast zu sein bei den anderen, zuzuhören: „Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet.“
Synodalität³ bedeutet Stabilität, das Aushalten des Anderen: „Zieht nicht von einem Haus in ein anderes!“
Sie bedeutet Offenheit für das Ungewohnte und Unbekannte: „Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt.“
Schließlich bedeutet Synodalität³, einen Auftrag anzunehmen: „Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe!“
Das Reich Gottes – darum geht es ja eigentlich.
Literaturverzeichnis
Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode 17. Oktober 2015. http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151017_50-anniversario-sinodo.html , abgerufen am 08.11.2019
Internationale Theologische Kommission, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, 2018.
Tiefensee, Eberhard, „Umänderung der Denkart“. Mission angesichts forcierter Säkularität, in: Kläden; Tobias (Hsg.), Kirche in der Diaspora. Keynotes der „pastorale!“ 2019 in Magdeburg, Erfurt 2020 (KAMP kompakt 8), 11-25. Auch als podcast:: https://www.die-pastorale.de/umaenderung-der-denkart-tiefensee.
Velati, Mauro, Separati ma fratelli. Gli osservatori non cattolici al Vaticano II (1962-1965), Bologna 2014.
Zweites Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute (GS).
http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651207_gaudium-et-spes_ge.html, abgerufen am 26.11.2019.
Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium über die Kirche (LG). http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumen-gentium_ge.html, abgerufen am 21.11.2019.
Bibeltexte nach: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Stuttgart 2016.